Das Cardiologicum Bremerhaven ist Teil der Sanecum Gruppe.

Was das Blut dünn hält

Grundsätzlich kann man zwei Arten der Blutverdünnung unterscheiden. Zur ersten Gruppe zählen die Hemmstoffe der Blutplättchen, die sogenannten Thrombozytenaggregationshemmer wie zum Beispiel ASS (Aspirin) und Clopidogrel. Sie verhindern eine Zusammenballung der Blutplättchen und führen dadurch zu verbesserten Fließeigenschaften des Blutes in den Gefäßen. Die Wirkung hält bei den meisten Substanzen fünf bis sieben Tage an. Danach wird die Plättchenfunktion durch neue Blutplättchen aus dem Knochenmark wieder normalisiert. Als Nebenwirkungen sind unter anderem Blutungen möglich, die mitunter gravierend sein können.
Bei Durchblutungsstörungen in Herz- oder Gehirngefäßen werden ASS (50 bis 100 mg/Tag) oder Clopidogrel (75 mg/Tag) eingesetzt, bei Erkrankungen der Beingefäße ist die Dosis höher (ASS 100 bis 300 mg/Tag).
Durch den Einsatz der Thrombozytenaggregationshemmer beim akuten Herzinfarkt hat die Sterblichkeit um mehr als 20 Prozent abgenommen. Zudem vermindert die dauerhafte Einnahme nach überstandenem Herzinfarkt nachweislich die Zahl erneuter Herzattacken. Nach einem Schlaganfall werden ebenfalls Plättchenhemmer gegeben, es sei denn, dass Herzrhythmusstörungen wie etwa Vorhofflimmern als Ursache infrage kommen.
Sehr umstritten ist die vorbeugende Einnahme dieser Medikamente ohne Nachweis einer Herz- oder Gefäßerkrankung, da mögliche Nebenwirkungen wie Blutungen den Nutzen infrage stellen. Bei der Erweiterung verengter Blutgefäße durch eine Gefäßstütze (Stent) ist die kombinierte Gabe von zwei verschiedenen Thrombozytenaggregationshemmern für mindestens vier Wochen, oft auch sechs bis zwölf Monate notwendig. Nur so lassen sich Gerinnselbildungen im Stent bestmöglich unterdrücken. Neuere Substanzen wie Ticagrelor und Prasugrel haben die Komplikationsrate bei Gefäßbehandlungen, speziell bei akuten Durchblutungs-störungen des Herzens, noch einmal senken können. Sie wirken rascher und führen zu einer intensiveren Plättchenhemmung, ohne dass die Zahl schwerwiegender Nebenwirkungen nennenswert steigt.

Hemmstoffe vom Cumarintyp
Die zweite Gruppe sind die indirekt und direkt wirkenden Hemmstoffe der Gerinnungsfaktoren.
Seit gut 50 Jahren benutzt man in der Medizin Hemmstoffe vom Cumarintyp (Marcumar). Sie werden bei Trägern von künstlichen Herzklappen eingesetzt sowie zur Behandlung von Gerinnseln in Blutgefäßen (Thrombosen). Sehr häufig werden sie bei Herzrhythmusstörungen wie zum Beispiel dem Vorhofflimmern verordnet, da hierdurch ein erhöhtes Schlaganfallrisiko besteht. Cumarine führen zu einer Verminderung der in der Leber gebildeten Gerinnungsfaktoren, indem sie Vitamin K aus der Leberzelle verdrängen. Die Stärke der Blutverdünnung ist dosisabhängig, sie kann von Mensch zu Mensch stark schwanken. Die Wirkung setzt verzögert ein, und zur Einstellung benötigt man circa eine Woche. Nach Absetzen dauert es zehn bis 14 Tage, bis sich die Blutgerinnung wieder normalisiert hat. In dringenden Fällen können hochdosiert Vitamin K oder konzentrierte Gerinnungsfaktoren verabreicht werden.
Um Über- und Unterdosierungen zu vermeiden, sind alle zwei bis vier Wochen Bluttests erforderlich.
Die Tablettendosis wird in einen Behandlungspass eingetragen, wobei auch der Grad der Blutverdünnung (heute als INR angegeben) dokumentiert wird. Ein Problem ist die zuweilen schlechte Steuerbarkeit der Therapie mit dem Risiko einer Blutung bei Überdosierung oder fehlender Schutzwirkung bei Unterdosierung.
Die Einnahme anderer Medikamente führt häufig zu Schwankungen im Wirkspiegel und somit zu Problemen. Daher hat man nach Alternativen mit leichterer Handhabung gesucht. Mit Dabigatran (Pradaxa), Rivaroxaban (Xarelto) und Apixaban (Eliquis) gibt es jetzt Präparate, die aufgrund ihres Wirkmechanismus auch als direkte Gerinnungshemmer bezeichnet werden. Sie werden in fester Dosis eingenommen, Blutentnahmen zur Therapiekontrolle sind nicht mehr erforderlich. Die Wirkung setzt innerhalb von ein bis zwei Stunden ein und klingt nach zwölf bis 24 Stunden wieder ab. In Studien haben diese Präparate im Vergleich zu Marcumar etwas besser abgeschnitten, es gibt aber auch Nachteile. So ist die Überprüfung der Nierenfunktion zwingend notwendig, bei stärker eingeschränkter Nierenleistung ist eine Verwendung nicht möglich. Die regelmäßige Einnahme ist aufgrund der kürzeren Wirkdauer wichtig, da sonst die angestrebte Blutverdünnung nicht mehr gegeben ist. Die Kosten für die neuen Gerinnungs-hemmer sind derzeit noch sehr hoch, Gegenmittel gibt es bislang nicht.

Vor- und Nachteile abwägen
Grundsätzlich ist der Einsatz gerinnungshemmender Medikamente immer eine individuelle Therapiemaßnahme. Die Berücksichtigung der Patientengeschichte sowie die Abwägung von Vor- und Nachteilen ermöglichen heutzutage aber eine weitgehend nebenwirkungsarme Behandlung mit größtmöglichem Nutzen. Wichtig ist auch, dass Patienten stets ihren Behandlungspass oder eine Hinweiskarte bei sich haben, damit etwa bei einem Unfall die richtigen Maßnahmen getroffen werden können. Bei Stürzen oder größeren Verletzungen sollte stets ein Arzt konsultiert werden, wie auch bei anderen medizinischen Behandlungen stets auf die Einnahme von Blutgerinnungshemmern hinzuweisen ist.


Artikel in der Nordseezeitung 9.10.2012
von Dr. Michael Heyder